Forschungsstand
Das Interesse an der Frage, ob lebensweltliche Mehrsprachigkeit bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sich hemmend oder förderlich auf schulischen Erfolg auswirkt, ist im Anschluss an die Ergebnisse der großen internationalen Bildungsstudien auch in Deutschland stark gestiegen. Die deutsche Forschung zur Sprachentwicklung im Zusammenhang mit Bildungsentwicklung konzentriert sich dabei ganz überwiegend auf die deutsche Sprache.
Wie etwa die Bildungsstudien IGLU, PISA oder TIMSS wiederholt belegt haben, wirkt sich eine unzureichende Lesekompetenz im Deutschen negativ auf die Leistungschancen in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern aus (Klieme, Jude, Baumert, & Prenzel, 2010). Lesefähigkeit – also das Verstehen von geschriebenen Texten – ist damit eine wesentliche Voraussetzung für schulische Leistungsfähigkeit überhaupt. Dabei zeigen sich in den genannten Studien regelmäßig die Befunde, dass Kinder, die aus einem sozioökonomisch schwächer gestellten Elternhaus stammen, und Kinder mit Migrationshintergrund schlechtere Ergebnisse in Leseverständnistests in Deutsch aufweisen (Pant u.a. 2013). In den angeführten Studien wird wiederholt betont, dass von Kompetenzrückständen vor allem diejenigen stark betroffen seien, die zu Hause nicht nur Deutsch, sondern auch ihre Herkunftssprachen sprechen.
Tiefergehende Studien gingen der Frage nach, ob tatsächlich das Sprechen einer anderen Sprache als der Schulsprache in der Familie die Ursache dafür ist, dass Kinder bildungsbenachteiligt sind. Diese Studien zeigen, dass es nicht relevant ist, ob im Elternhaus (auch) eine andere als die Schulsprache gesprochen wird. Relevant sei vielmehr, ob – in welcher oder welchen Sprache(n) auch immer – eine auf die Besonderheiten der schul- und bildungssprachlichen Anforderungen vorbereitende sprachliche Praxis in der Familie gepflegt wird. Insbesondere geht es darum, ob im Elternhaus eine Schriftorientierung erfolgt (Scheele, Leseman, & Mayo, 2010). Etliche Untersuchungen weisen explizit auf positive Wirkungen mehrsprachigen Aufwachsens hin, vor allem in Bezug auf den Aspekt der Sprachbewusstheit und damit einhergehenden günstigen Bedingungen für schulisches sprachliches Lernen (Bialystok, 2009; Bialystok, Luk, & Kwan, 2005).
Unzureichender Forschungsstand
Der Forschungsstand ist also insgesamt noch nicht zufriedenstellend, teilweise widersprüchlich. Unser Vorhaben geht von den Forschungsergebnissen aus, die die Bedeutung der schriftorientierten sprachlichen Praxis betonen. Diese bereitet auf Literalität vor – also den Zugang zur Schrift über die bloße instrumentelle Beherrschung des Schreibens hinaus. Die Beherrschung dieser Fähigkeit ist im schulischen Kontext und überhaupt im gesellschaftlichen Leben eine zentrale Bedingung für Teilhabe und Erfolg. Der erfolgreiche Erwerb von Literalität gilt als „Basiskompetenz in einem kontinuierlichen Lernprozess […,] ist Denkentwicklung, die in modernen Gesellschaften für eine befriedigende Lebensführung, sowie für aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und kontinuierliches Weiterlernen über die gesamte Lebensspanne notwendig ist“ (Schründer-Lenzen, 2007).