KiBis-Ziele
Unser Vorhaben möchte dazu beitragen, dass Wissenslücken über Mechanismen der Aneignung von schul- und bildungsrelevanten sprachlichen Fähigkeiten im mehrsprachigen Kontext gefüllt werden. Wir bezeichnen diese Fähigkeiten als ‚bildungssprachlich‘. Darunter verstehen wir diejenigen sprachlichen Fähigkeiten, die benötigt werden, um sich schulisches Wissen anzueignen und um Lernerfolge unter Beweis zu stellen. Besseres Wissen über die Aneignung bildungssprachlicher Fähigkeiten bildet eine Voraussetzung dafür, schulisches Unterstützungshandeln so zu gestalten, dass eventuelle Nachteile gemildert werden, die durch Mehrsprachigkeit entstehen. Meist sind solche Nachteile gekoppelt mit sozialer Benachteiligung; dies berücksichtigen wir in unserer Untersuchung. . Zugleich gibt es nach dem Stand der Forschung wahrscheinlich etliche Vorteile der Mehrsprachigkeit für sprachliches Lernen und das Lernen im Allgemeinen. Wir möchten dazu beitragen, dass diese Vorteile tatsächlich genutzt werden können.
Sprachentwicklung bis Ende der Grundschulzeit
Ziel unseres Vorhabens ist es, den Übergang in der Sprachentwicklung mehrsprachiger Kinder von der Mündlichkeit in die Schriftsprachlichkeit im Zeitverlauf zu untersuchen. Dabei konzentrieren wir uns auf den Zeitraum von der Einschulung bis zum Ende der Grundschule. Die longitudinale Perspektive gestattet Rückschlüsse auf Ursache-Wirkungs-Zusammen-hänge. Die Erfassung des gesamten Zeitraumes von der Grundschule bis zum Übergang in die Sekundarstufe wird ermöglicht durch die unmittelbare Anbindung der Untersuchung an die Pilotstudie LiPS (Linguistic Diversity Panel Study).
In die Untersuchung werden das Deutsche und die Herkunftssprachen Türkisch, Russisch und Vietnamesisch einbezogen. Verschiedenheit der Sprachtypen beeinflusst mit hoher Wahrscheinlichkeit die sprachliche Entwicklung, zum Beispiel in Bezug auf Transferphänomene (also die Übertragung von Grundprinzipien einer Sprache auf eine andere). Gleichzeitig repräsentieren die Kinder mit diesen Herkunftssprachen Migrantengruppen unterschiedlicher Migrationstypen. Zum einen sind die ‚größten‘ Sprachen von Migranten in Deutschland, Türkisch und Russisch, vertreten. Zum anderen aber besteht verstärkte Zuwanderung aus Asien; mit dem Vietnamesischen berücksichtigen wir eine asiatische Sprache stellvertretend. Der Ansatz, sowohl herkunftssprachlich als auch migrationsgeschichtlich unterschiedliche Gruppen zu betrachten, erlaubt die Berücksichtigung von Einflüssen sprachlicher und nichtsprachlicher Faktoren, zum Beispiel kultureller und sozialer Hintergrundmerkmale. Unter den Kindern, die wir in die Untersuchung einbeziehen können, sind auch einsprachig-deutsche; das erlaubt es uns, Entwicklungsverläufe differenziert zu analysieren und die Merkmale, die auf Mehrsprachigkeit zurückgehen, herauszufiltern.
Theoretische Grundlagen
Über die Frage, wie Kinder von der Mündlichkeit in die Schriftsprachlichkeit voranschreiten, liegen theoretische Erwägungen vor (Ehlich, Bredel, & Reich, 2008). Empirische Befunde gibt es aber kaum (Heppt, Dragon, Berendes, Stanat, & Weinert, 2012). Daher führen wir eine explorative Intensivstudie durch, die neben produktiven und rezeptiven Sprachtests auch ausführliche qualitative Leitfadeninterviews mit Kindern und Eltern umfasst. Dabei werden die Fragestellungen verfolgt, - ob und in welcher Weise sich Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der Ein- bzw. Mehrsprachigkeit der Kinder und ihrem Schriftspracherwerb zeigen;
- ob und in welchen Ausformungen sprachspezifische und sprachübergreifende Konzepte von Literalität und Bildungssprache im familiären Alltag bestehen;
- welche familiären Aktivitäten (auch) literal und bildungssprachlich geprägt sind;
- welche Spuren literaler und bildungssprachlicher Aktivitäten in den sprachlichen Produktionen und im Leseverständnis der Kinder erkannt werden können.
Antworten auf diese Fragen sollen Grundlagen für Handlungskonzepte einer Förderung der Mehrsprachigkeit mit Fokus auf bildungssprachliche Fähigkeiten liefern. Sie werden insbesondere darauf gerichtet sein, Anregungen für unterstützende Strukturen und Praktiken anzubieten, die für Kinder förderlich sind, die in ihrem Elternhaus keine intensiven Sprachanregungen erfahren.